Ein pädagogisches Modellprojekt zur Entwicklung der Beziehungskompetenz der Insassen, des Allgemeinen Vollzugsdienstes, des Lehrpersonals und des Sozialdienstes zur Unterstützung der Insassen in Bildungsmaßnahmen Projektzeitraum: Mai 2014 bis März 2015

PROBLEMLAGE UND BEDARF

 

Mangelnde Bildung und Kriminalität hängen unmittelbar zusammen. Das konnte vielfach eindrucks-voll nachgewiesen werden (z.B. Entop und Sieger 2010, Baier und Windzio 2006, Baier und Pfeiffer 2008). Entrop und Sieger (2010) konnten zeigen, dass sich mit erhöhter Qualifizierung der Schüler, in dieser Studie untersucht an Schulabgängern mit mindestens einem Hauptschulabschluss, der Anteil an Delikten wie Mord und Totschlag, Raub und räuberische Erpressung und Eigentumsdelikte im Vergleich zu Tätern mit einem geringer wertigen Abschluss) signifikant reduziert. Gerade in den Haftanstalten, wo ein großer Teil der Insassen nur über geringe Bildung verfügt , ist es deshalb sinnvoll, für die Teilhabe an Bildungsmaßnahmen große Anstrengungen zu unternehmen.

 

Nicht immer ist es mit der Verbesserung der Lehrbedingungen getan. Einige der Insassen können aus psychosozialen Gründen nicht von den Qualifizierungsmaßnahamen profitieren. Ihnen fehlt es an Kompetenzen, sich selbst angemessen zu regulieren und soziale Situation adäquat zu gestalten.

 

Aufgrund von beeinträchtigenden Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Beziehungen zeigen sich manche junge Menschen misstrauisch und in sozialen Kontakten ablehnend. Ihre massiven Schwierigkeiten, sich in Beziehungen und sozialen Kontexten zurecht zu finden und angemessen zu verhalten, erstrecken sich auf unterschiedliche soziale Felder. Auch in Zusammenhang mit den Bildungsangeboten in Haft tritt diese Problematik zu Tage. Für die Pädagoginnen und Pädagogen und Lehrerinnen und Lehrer stellt das eine große, mitunter nur schwer zu bewältigende Herausforderung dar.

 

Die meisten Versuche, das Verhalten der jungen Menschen durch Gespräche zu verändern, perlen gleichsam an ihnen ab, und sie begegnen den pädagogischen Fachkräften oft mit einer Mischung aus unberührbarer Härte und sozialer Anpassung. Immer wieder inszenieren sie Abbrüche, Entwertungen und Ablehnungen. Oft zeigen sie sich überaus misstrauisch und in sich zurückgezogen. Andere verhalten sich offen aggressiv, treten provokant auf und lösen immer wieder negative Reaktionen bei ihrem Gegenüber aus.

 

Diese jungen Menschen lassen häufig überzeugend und glaubhaft erkennen, dass sie sich im Grunde ein sozial angepasstes Leben mit Beruf und Familie wünschen, geraten aber immer wieder in konflikthafte Situationen, die zu aggressiven Auseinandersetzungen führen, denen sie sich dann hilflos und aus ihrer subjektiven Sicht unschuldig ausgeliefert sehen. Nicht selten führt das letztlich zum Abbruch der Bildungsmaßnahmen, obwohl sie intellektuell gut in der Lage wären, das jeweilige Bildungsziel zu erreichen.

 

Dem mag in dem einen Fall zu Grunde liegen, dass es der Person an Frustrationstoleranz und an Affektkontrolle mangelt, so dass es bei geringfügigsten Anlässen zu „Ausrastern“ kommt; andere können zu erwartende Folgen ihres eigenen Verhaltens nicht antizipieren, so dass sie infolge gravierender Fehlbeurteilungen ihres Verhaltens immer wieder in selbstgefährdende Situationen geraten; wieder andere haben hohe Ansprüche an sich selbst und verurteilen und entwerten sich selbst schon bei kleinsten Abweichungen.

 

Diese und weitere Fähigkeiten der Selbst- und Beziehungsregulierung werden in der Regel bereits in der Primärfamilie entwickelt. Kommt es aber zu Vernachlässigung, Missbrauch oder Gewalt, kann das Kind diese Fähigkeiten nicht ausreichend ausbilden. Solche Einschränkungen gehen dann oftmals mit dauerhaften Störungen des interpersonellen Verhaltens und der sozialen Beziehungen des Betroffenen einher (ausführlich bei Streeck und Leichsenring 2009).

 

Ohne pädagogisches Training dieser Kompetenzen ist kaum zu erwarten, dass sich Fähigkeiten der Selbst- und Beziehungsregulierung ausreichend nachentwickeln können. Dazu ist eine stabile, haltgebende Beziehung notwendig, eine pädagogische Interaktionsdiagnostik und gezielte entwicklungsförderliche Interventionen (Streeck 2012).

 

In Kooperation mit dem Berufsbildungsverein Eberswalde
In Kooperation mit dem Berufsbildungsverein Eberswalde

ZIEL DES PROJEKTES

Ziel des Projektes war es, mit den Ausbildungswilligen, denen oben beschriebene soziale Kompetenzen fehlen um in Schule und Ausbildung zu bestehen, die defizitären sozialen Kompetenzen nachzuentwickeln und die vorhandenen Kompetenzen auszubauen, um sie damit in Bildungsmaßnahmen reintegrieren zu können. Damit konnten Voraussetzungen für einen Start ins Berufsleben geschaffen werden, so dass sich die Wahrscheinlichkeit eines straffreien Lebens nach der Haftentlassung erhöht hat. Durch eine gezielte Förderung steigen nicht nur die Chancen auf eine erfolgreiche berufliche Integration, sondern auch die Fähigkeit, sich in sozialen Situationen zurecht zu finden.

 

Da insbesondere diese Gruppe der Insassen häufig nicht nur in Zusammenhang mit beruflicher Qualifizierung in Konflikte gerät, sondern auch im sozialen Alltag, sollte auch hier eine entwicklungsförderliche Situation realisiert werden, die als relativer Schutzraum empfunden werden konnte.

 

Um eine positive Veränderung zu bewirken wurden die Fachkräfte der Station in besonderer Weise geschult und miteinbezogen. Damit weichte dieses Projekt von üblichen „Behandlungsmaßnahmen“ ab, bei denen die Insassen in aller Regel dazu gebracht werden sollen, Einstellungen, Bewertungen und Verhalten zu ändern. In diesen Fällen wird „der zu Behandelnde“ nicht selten als problematischer, fehlerhafter junger Mensch gesehen. In diesem Projekt geht es eher darum grundsätzliche Interaktionsmuster zwischen den Insassen und den Fachkräften zu verstehen und zu verbessern. Indem sich an der Art und Weise, wie die Insassen ihr Verhältnis mit den Fachkräften gestalten, ihre Beeinträchtigungen zeigen, bietet sich für die Fachkräfte die Möglichkeit, in der jeweils aktuellen Situation darauf in entwicklungsförderlicher Weise zu antworten. Das allerdings setzt spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen aus Seiten der Fachkräfte voraus, denen damit eine verantwortungs-volle Aufgabe zukommt.

 

Ziel war somit, in der pädagogischen Arbeit die Interaktion mit den jungen Menschen in gezielt entwicklungsförderlicher Weise zu gestalten.

 

MODULARES ANGEBOT

 

Um dieses Ziel zu erreichen wurden mehrere ineinandergreifende Module zeitgleich angeboten. Die Einschränkungen und Störungen wurden unter Beachtung der verfügbaren Ressourcen im sozialen Miteinander mit den Insassen bearbeitet. Mit dem Sozialdienst, den Bediensteten und den Lehrern (und Stützlehrern) sollten auftretende Konflikte gelöst werden können. Die Fachkräfte sollten die Grundzüge der Interaktionsdiagnostik kennen lernen, um ein besseres Verständnis für die interpersonellen Probleme der Insassen entwickeln zu können.

 

 

INTERAKTIONELLES COACHING MIT DEN INSASSEN ZUR VERBESSERUNG DER SOZIALEN INTERKATION

 

Im Fokus der Arbeit mit den Insassen standen die Förderung der Mentalisierungsfähigkeit, die Erhöhung von Frustrationstoleranz und Verbesserung der Affektkontrolle, die Entwicklung der Fähig-keit zur Antizipation von Handlungsfolgen sowie eine differenziertere Wahrnehmung moralischer Werte und ihre Berücksichtigung im konkreten Handlungsvollzug. Oft sind unterschiedliche Ich- und Gewissensfunktionen defizitär. Daher ist es sinnvoll, diese Funktionen, die eng in das Beziehungs-geschehen eingebunden sind, zu erfassen und erkennbar werden zu lassen. Damit wird weit über ein reines Verhaltenstraining hinausgegangen, das für einige Straftäter hilfreich sein mag, für diese Zielgruppe jedoch zu kurz greift.

 

Mit Hilfe einer speziellen pädagogischen Diagnostik sollte ein/e speziell geschulte/r Trainer/in der Denkzeit-Gesellschaft individuelle Problemlagen erkennen und die Interventionen dementsprechend ausrichten. Methodisch wurde dabei das pädagogische Einzeltraining „Denkzeit-interaktionell“ zugrunde gelegt, das aus einer Verschmelzung der therapeutischen psychoanalytisch-interaktionellen Methode und dem klassischen Denkzeit-Training besteht, das seit über 10 Jahren mit guten Erfolgen für Intensivtäter angeboten wird .

 

Inhalte der wöchentlichen „interaktionellen Coaching“-Gespräche waren die Beziehungserfahrungen der Insassen. Nach jeder Sitzung wurden die Fähigkeiten des Klienten, seine Fortschritte und seine Schwierigkeiten mit Hilfe eines hierfür entwickelten, bereits erprobten Untersuchungsbogens (Streeck 2010) eingeschätzt.

 

In regelmäßigen Abständen wurden (nach Absprache und mit Zustimmung des Insassen) Gespräche mit den Bediensteten, den Lehrerinnen und Lehrern und den Pädagogen und Pädagoginnen geführt, um die Veränderung und die Erkenntnisse zu besprechen sowie das weitere Vorgehen zu planen.

 

 

 

GRUPPENSTZUNGEN MIT DEN INSASSEN, BEDIENSTETEN, DEM SOZIALDIENST UND DEM LEHRPERSONAL

 

Für einen intensiven Austausch über die Erfahrungen und Erlebnisse des sozialen Miteinanders wurden für alle Beteiligten gemeinsame Gruppensitzungen durch einen Gruppenanalytiker angeboten. Auf diese Weise verknüpfte sich die Erfahrung der Insassen in den Einzelsitzungen mit denen in der Gruppe, was die Dynamik auf der Station positiv beeinflusst und eine Haltung gegenseitigen Respekts unterstützte.

 

 

SCHULUNGEN FÜR PÄDAGOGEN, LEHRER UND BEDIENSTETE

 

Flankierend erfolgte eine spezialisierte fachliche Qualifizierung durch wissenschaftlich ausgebildete Dozenten, die unmittelbar auf den Bedarf der Kollegen und Kolleginnen auf der Station und in den Bildungsmaßnahmen (oder darüber hinaus, wenn es dem Projektziel dienlich ist) abgestimmt waren.

 

Themen waren:

 

• Die Arbeit im Zwangskontext

 

• Rahmen und Rahmenbedingungen in der pädagogischen Arbeit

 

• Funktionen der Selbst- und der Beziehungsregulierung

 

• Handlungsmotive gewalttätiger Menschen

 

• Seelische Traumatisierungen

 

• Pädagogische Interaktionsdiagnostik

 

• Interaktionelle Interventionsstrategien

 

• „Beziehungsfallen“ im Umgang mit besonders schwierigen Klienten

 

• Herausforderungen in der Arbeit mit Straftätern

 

 

MEDIATION IN KONFLIKTFÄLLEN

Sofern akute Konflikte auftraten, die die Gruppensituation auf der Station belasteten, kam eine Mediatorin zum Einsatz, die die belastende Situation mit den Beteiligten auf konstruktive und kreative Weise besprach und löste und Hinweise für einen deeskalierenden Umgang miteinander geben konnte.

 

Erfreulicherweise wurde dieses bundesweit einmalige Modellprojekt auch 2015 in der JVA Wriezen fortgesetzt.

Mehr Infos zum Coaching
Modul Coaching für Ausbildungsteam.pdf
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Mehr Infos zu dem Gruppenangebot
Modul Gruppe.pdf
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Mehr Infos zu den Vorträgen und Seminaren
Modul Vorträge und Seminare.pdf
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Mehr Infos zur Mediation
Modul Mediation.pdf
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Gefördert durch das Ministerium der Justiz aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Brandenburg.

 

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