Interaktionelle Interventionsstrategien und pädagogische Interaktionsdiagnostik

Qualifizierung für Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer

 

Problemlage

 

Im Laufe der langjährigen Arbeit der Denkzeit-Gesellschaft e.V. mit aggressiv-delinquenten Jugend­lichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen wurde deutlich, dass ein Teil dieser Personen­gruppe mit herkömmlichen pädagogischen Angeboten so gut wie nicht erreichbar ist. Diese Klienten zeigen sich oft misstrauisch und ablehnend, pädagogischen Interventionen sind sie nur schwer, therapeutischen kaum jemals zugänglich (Streeck 2012, Friedmann und Wolter 2012). Häufig haben sie lange „Jugendhilfekarrieren“ und entsprechende Laufbahnen als erwachsene Straftäter hinter sich. Es gibt Indizien, dass die Anzahl von Jugendlichen, deren Verhalten Entwick­lungsstörungen der Persönlichkeit zu Grunde liegen, in der Jugendhilfe und in Haft zunimmt (Seiffge-Kenke 2007). Unbehandelt bleiben diese Auffälligkeiten meist über Jahrzehnte stabil (Streeck 2007, 2009).

 

Die massiven Schwierigkeiten der Jugendlichen, sich in Beziehungen zu Recht zu finden und angemessen zu verhalten, manifestieren sich in unterschiedlichen zwischenmenschlichen Bezie­hungen. Das soziale Miteinander wird dadurch erheblich gestört. Darum muss ihnen vor allem geholfen werden, sich in interpersonellen Situationen anzupassen, ihr soziales Verhalten realistischer einzu­schätzen und zu korrigieren (Streeck 2007, Streeck und Leichsenring 2009).

Für Pädagoginnen und Pädagogen stellt diese Klientel eine große, mitunter nur schwer zu bewälti­gende Herausforderung dar, weil diese individuelle Beziehungsproblematik in jeder intensiven (Ar­beits-)Beziehung erneut zu Tage tritt.

 

Es wurde deshalb für Kolleginnen und Kollegen, die mit dieser Klientel arbeiten, eine Fortbildung entwickelt, die die langjährige Erfahrung im Umgang mit Straftätern, die wissenschaftliche Arbeit der Denkzeit-Gesellschaft und die erprobten „interaktionellen Interventionsstrategien“ miteinander verbindet. Es handelt sich dabei um zielgerichtete Techniken, die im Arbeitsalltag der Bewährungs­hilfe, der Pädagoginnen und Pädagogen der Strafanstalten und des Jugendamtes und in anderen Bereichen in der Arbeit mit schwierigen Klienten eingesetzt werden können.

 

Grundlage des Fortbildungsangebotes

 

Die pädagogischen Interventionstechniken und die pädagogische Interaktionsdiagnostik, die die Denkzeit-Gesellschaft im Rahmen der Entwicklung einer neuen Methode (Denkzeit-interaktionell[1]) für Klienten, die in ihrer sozialen Anpassung gestört sind, entwickelt hat, sind besonders geeignet, die interpersonellen Einschränkungen der Klienten zu bearbeiten. Ziel des Fortbildungsvorha­bens ist es es, geeignete Interventionsstrategien herauszulösen und die zugrundeliegende pädago­gische Interaktionsdiagnostik an die Arbeitsrealität der Pädagoginnen und Pädagogen flexibel anzu­passen.

Die Fortbildung hat nicht die Vermittlung eines manualisierten, modularisierten Denkzeit-Trainings[2] zum Inhalt, das in der Praxis der Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Straffälligenhilfe manch­mal nur schwer einsetzbar ist (und eine eigene, grundlegend andere Weiterbildung erfordern würde), sondern ganz eigenständige Interaktionsstrategien, basierend auf einer wissenschaftlich fundierten, pädagogischen Einschätzung der Ressourcen und Defizite der Klienten.

 

Inhalte der Fortbildung

 

Die Fortbildung legt ihren Schwerpunkt auf die Vermittlung von theoretischen Grundlagen, die Unterstützung bei der Entwicklung eines besseren Verständnisses für die Einschränkungen im Interpersonellen und die Vermittlung  entsprechender Kommunikationsstrategien im Umgang mit schwierigen Klienten.

 

Es handelt sich dabei um zielgerichtete Techniken, die im Arbeitsalltag der genannten Gruppen im Umgang mit diesen schwierigen Menschen eingesetzt werden können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen qualifiziert werden, eine pädagogische Interaktionsdiagnostik, die für diesen Zweck entwickelt und bereits erprobt wurde, sicher anzuwenden, um ihre Kommunikation indikativ und entwicklungsförderlich darauf zu fokussieren. Dafür ist es von großer Bedeutung, dass sich die Kolleginnen und Kollegen in besonderer Weise in den Arbeitsprozess verwickeln lassen. Sie müssen ein erhebliches Maß an Selbstreflexion aufbringen und bereit sein, eine sowohl wohlwollend-zugewandte wie gleichzeitig auch stabile, abgegrenzte Haltung zu übernehmen. Insbesondere im Rahmen dieser för­derlichen, Halt gebenden Beziehung ist es den Klienten möglich, sich zu entwickeln und neue Ver­haltensstrategien zu erproben und zu integrieren.

 

Zentrales Anliegen ist es, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern jene pädagogische Haltung zu vermitteln, die nach unserer Erfahrung wesentlich zum Anstoßen produktiver Prozesse beim Klien­ten beiträgt. Bei der "Haltung" des Pädagogen handelt sich nicht um ein "Instrument", das wie ein technisches Hilfsmittel gezielt im pädagogischen Prozess eingesetzt werden könnte. Vielmehr han­delt es sich bei der „Haltung“ um die Fähigkeit, eine klare, stabile, belastbare und förderliche Bezie­hung zum Klienten einzugehen. Diese Haltung setzt die Fähigkeit voraus, das eigene Verhalten im Hinblick auf die andere Person zu erkennen und zu reflektieren. Dazu gehört auch, die eigenen Gefühle in der Arbeit mit der oft sehr schwierigen Klientel wahrzunehmen, zu reflektieren und hilfreich einsetzen zu können. Auch diese Fähigkeiten sollen in der angebotenen Fortbildung gestärkt werden.

 

Besonders wichtig ist die pädagogische Interaktionsdiagnostik im Verlauf der Arbeit mit den Klien­ten, um auf die Fähigkeiten und Einschränkungen psychischer und interpersoneller Funktionen der Klienten abgestimmte, gezielte Kommunikationsangebote anbieten zu können. Dafür ist Voraus­setzung, die verschiedenen Ressourcen und Defizite in den Funktionen der Selbst- und der Be­ziehungsregulierung zu erkennen, um entscheiden zu können, welche dieser Funktionen der jeweilige Klienten (weiter-)entwickeln müsste, um sich in sozialen Situationen ausreichend adäquat(er) verhalten zu können. Die Pädagoginnen und Pädagogen lernen also, sich ein Bild zu verschaffen, welche die­ser Funktionen beim Klienten in welcher Weise eingeschränkt sind, um gezielt darauf einwirken zu können.

 

Muss ein Klient, der sich beispielsweise immer wieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen wie­derfindet, aber nicht versteht, welchen Anteil er daran haben könnte, eher lernen, die Folgen sei­nes Handelns besser abzuschätzen (Antizipation, Projektion oder/und Perspektivenübernahme) oder gerät er eher in Auseinandersetzungen, weil er seine Bedürfnisse nicht aufschieben kann (Frustrationstoleranz) oder lässt er sich so schnell provozieren, dass er seine Affekte nicht mehr ausreichend steuern kann (Affektwahrnehmung oder/und Affekttoleranz) oder findet er, er muss ein Unrecht verhindern (Gewissen oder/und Ich-Ideal)? Je nach dem zu welcher Entscheidung der Pä­dagoge/die Pädagogin kommt, wird sie völlig unterschiedlich auf den Klienten eingehen müssen, um ihm hilfreich zu sein.

 

Sollte der Pädagoge/die Pädagogin im oben genannten Fall vermuten, dass es sich vor allem um eine Problem der Antizipation handeln könnte, würde er/sie im Interaktionsdiagnostikbogen dort nachsehen und überlegen, wo die vom Klienten geschilderten Situationen am ehesten einzuordnen wären, um dies dann in einen Auswertungsbogen zu übertragen. Ebenso verfährt er mit den anderen oben genannten Einschränkungen.

 

 

Hier beispielhaft ein Auszug aus dem Interaktionsdiagnostikbogen[3]:

 

Antizipation

Der Pädagoge/die Pädagogin soll die Fähigkeit des Klienten beurteilen, sich zu erwartende Folgen des eigenen tatsächlichen oder des von ihm nur beabsichtigten Verhaltens klarzumachen und potentielle Gefahren, etwaige Strafen, soziale Konsequenzen oder physische Folgen zu bedenken, die sein Verhalten nach sich ziehen kann. Dazu gehört auch die Fähigkeit des Klienten, zu erwartende Reaktionen anderer Menschen auf sein eigenes Verhalten in Rechnung zu stellen.

           

Idealerweise könnte der Klient die Folgen seines Verhaltens und dessen Wirkung auf andere Menschen sicher einschätzen. Konsequenzen von beabsichtigtem Verhalten könnte der Klient im Vorfeld antizipieren. Auch die Konsequenzen weitgehend spontanen Verhaltens würde der Klient wie von selbst antizipieren können, ohne darüber bewusst nachdenken zu müssen.

 

1          Der Klient gerät infolge von schweren Fehlbeurteilungen seines Verhaltens immer wieder in erheblich selbstgefährdende Situationen. Die Fähigkeit zur Antizipation von Folgen seines eigenen Verhaltens erscheint minimal. Das kann unter Umständen so weit gehen, dass sich der Klient gelegentlich vital gefährdet.

 

2          Die Beurteilung von Folgen und Konsequenzen des eigenen Verhaltens erscheint lückenhaft. Der Klient schätzt die Wirkung seines eigenen Verhaltens auf andere Menschen häufig verzerrt ein.

 

3          Gröbere Fehlbeurteilungen von Folgen des eigenen Verhaltens beschränken sich auf umschriebene Situationen und Lebensbereiche. Das kann sich dort zeigen, wo der Klient relativ geringfügige Störungen seines eigenen körperlichen oder seelischen Befindens für Anzeichen einer schwereren Krankheit hält, oder dort, wo der Klient Erfolge auf schicksalhafte Umstände zurückführt, ohne in der Lage zu sein, den Anteil des eigenen Verhaltens daran einzuschätzen. Auch seine Wirkung auf andere Menschen kann der Klient sich öfter nur relativ grob vorstellen.

 

4          In vertrauter Umgebung und im Rahmen von Alltagsroutine gelingt es dem Klienten, Folgen des eigenen Verhaltens zu bedenken. Nur gelegentlich sind Fehleinschätzungen von Folgen des eigenen Verhaltens zu beobachten. Es kann dem Klienten beispielsweise schwer fallen, die notwendige Zeit und den notwendigen Arbeitsaufwand für eine Arbeit sicher und richtig einzuschätzen. Der Klient ist sich seiner Wirkung auf andere Menschen nur selten unsicher.

 

In der Arbeit mit den Klienten zeigen sich solche Einschränkungen in aller Regel in den Berichten über die Beziehungen zu anderen Menschen, aber auch direkt in der Zusammenarbeit von Pädago­gen und Klienten und können dort der Bearbeitung zugänglich werden.

Mit den Seminaren werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildung bei der Entwick­lung eines vertieften Verständnisses für die innerpsychischen und sozialen Konflikte der Täter un­terstützt. Auf diese Weise können Interventionen zielgerichtet eingesetzt und oftmals Prozesse angestoßen werden, die für die Klienten zu einer Veränderung in ihrem interpersonellen Verhalten führen und damit weitere Delinquenz verringern. Darüber hinaus kann der Klient erkennen, welches Beziehungsverhalten ihn immer wieder in zwischenmenschliche Konflikte geraten lässt.

 

Aufbau und Umfang der Fortbildung

 

Die Fortbildung gliedert sich in zwei Teile: die theoretische Fundierung (sechs zweitägige Seminare) und die begleitete Praxis (vier Termine Praxisberatung bzw. Supervision).

Nach den 6 Theorieblöcken[4] -jeweils insg. 8 Stunden- setzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Inhalte in Ihrer pädagogischen Alltagspraxis ein und werden dabei ein Jahr lang durch vierteljährliche Praxis­beratung, bzw. Supervision an zwei aufeinander folgenden Tagen mit je insg. 8 Stunden begleitet[5].

 

Insgesamt ergeben sich daraus 80 Zeitstunden pro Teilnehmer.

 

Die Größe der Fortbildungsgruppen soll 12 Personen nicht überschreiten, damit ein intensives und vertrauensvolles Arbeiten in der Gruppe möglich ist.

 

Theoretische Fundierung

 

Die theoretischen Seminare beinhalten zum einen Vorträge zu Themen, die für die Arbeit mit schwierigen Menschen besonders relevant sind[6], wie z.B.:

·         Arbeit im Zwangskontext

·         Der Rahmen in der pädagogischen Arbeit

·         Die pädagogische Haltung

·         Entwicklung des moralischen Denkens und Handelns

·         Entwicklung von Einfühlung

·         Funktionen der Selbst- und der Beziehungsregulierung

·         Handlungsmotive gewalttätiger Klienten

·         Pädagogische Interaktionsdiagnostik

·         Seelische Traumata

 

Zum anderen werden in Rollenspielen und Fallbesprechungen spezielle Interventionsstrategien eingeübt. Dabei liegt der Fokus der Arbeit auf der Veränderung zukünftigen Handelns der Klienten, insbesondere in sozialen Konfliktsituationen und ist somit durchgängig prospektiv. In der Zusam­menarbeit mit den Klienten soll eine korrigierende Beziehungserfahrung in einem haltgebenden Rahmen vermittelt werden. Die Einstellungen, Erfahrungen und Erlebnisse werden gleichsam zwischen den Pädagogen und den Klienten gelegt und gemeinsam betrachtet. Dabei steht im Vor­dergrund, den Klienten dabei zu unterstützen, angesichts bestehender Einschränkungen funktionale Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

 

Folgende Themen werden mit den Teilnehmern in Seminarform zur Unterstützung der Anwendung in der Praxis erarbeitet:

·         Einsatz der pädagogischen Interaktionsdiagnostik im Verlauf der Arbeit

·         Praxis der interaktionellen Interventionsstrategien

·         Verwendung der bereitgestellten Arbeitsmaterialien

·         „Beziehungsfallen“ im Umgang mit besonders schwierigen Klienten

·         Besondere Herausforderungen in der Interaktion mit Straftätern

 

Begleitete Praxis

 

Schon während des ersten Fortbildungsteils, kann der/die Teilnehmer/in die neu hinzugewonnen Kommunikationsstrategien und Kenntnisse unmittelbar im Berufsalltag einsetzen. Alle Teilnehmer erhalten die Nutzungsrechte an den zur Verfügung gestellten Materialien.

 

Erfahrungsgemäß nimmt die sichere Anwendung der mit der Fortbildung vermittelten veränderten Sicht- und Interaktionsweise einige Zeit in Anspruch und kann durch Begleitung der Praxis deutlich erleichtert werden. In Praxisberatung und/oder Supervision, die nach Abschluss des Theorieteils angeboten wird, können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihre Erfahrung mit den Klienten kon­kret besprechen, reflektieren und auf den Einzelfall abgestimmte Handlungsstrategien entwickeln. Die Teilnahme ist obligatorisch.

 

Die Arbeitstreffen umfassen insg. 8 Stunden verteilt auf zwei aufeinanderfolgende Tage und finden vierteljähr­lich statt. Insgesamt soll die Gruppe ein Jahr lang begleitet werden, also vier Mal zusammen kommen, nachdem die theoretische Ausbildung abgeschlossen ist. Eine Verlängerung der begleiteten Praxis ist nach Absprache möglich.

 

 

Termine

21./22. August 2015

23./24. Oktober 2015

27./28. November 2015

 


22./23. Januar 2016

19./20. Februar 2016

08./09. April 2016

 

Praxisberatungstermine werden im Januar 2016 bekannt gegeben. 

 


Eine vorherige Anmeldung ist unbedingt erforderlich. 

 

[1] Denkzeit-interaktionell ist eine Verflechtung der therapeutischen „psychoanalytisch-interaktionellen Methode“, die Erfolge bei Patienten mit negativen oder traumatisierenden Beziehungserfahrungen aufweist und der bewährten pädagogischen „Denkzeit-Methode“. Finanziert wurde das Unternehmen von der Heigl-Stiftung, der Internationalen Psychoanalytischen Universität und der Denkzeit-Gesellschaft.

[2] Es wurden inzwischen verschiedene Denkzeit-Methoden für verschiedene Zielgruppen erarbeitet. Alle Konzepte entstanden aus den Bedarfen der Praxis. Zurzeit werden folgende Trainings angewandt: Denkzeit-präventiv, Denkzeit-klassisch, Denkzeit-JVA, Denkzeit-interaktionell, Denkzeit-Coaching und Denkzeit-Projekttage. Denkzeit für Erwachsene ist in Vorbereitung.

[3] ©Streeck 2010

[4] Termine werden nach Absprache, in der Regel jeweils Freitagnachmittag und Samstagvormittag bei festen Gruppen aus einer Institution können die Zeiten an die Bedürfnisse der Teilnehmer angepasst werden.

[5] Zu den Terminen s.o.

[6] Die Themen können nach Absprache auf die jeweiligen Berufsgruppen zugeschnitten werden.


Denkzeit-Gesellschaft e.V.

 

Innsbrucker Straße 37

10825 Berlin

S+U Innsbrucker Platz

(030) 689 15 666

info@denkzeit.com

 


Unterstützen Sie die Denkzeit-Gesellschaft e. V., indem Sie auf smile.amazon.de einkaufen.

 

Möchten Sie über interessante Termine der Denkzeit-Gesellschaft informiert werden?

 

Dann freuen wir uns über Ihre Anmeldung für unseren Newsletter.

 

Ihre Daten behandeln wir selbstverständlich nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Mehr Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.